Offener Dialog – Wie im Märchen ♡

Offener Dialog – Wie im Märchen ♡

Ich muss euch was erzählen..

Ich bin vor ein paar Wochen über den Begriff Open Dialogue (OD) gestolpert. Also irgendwie konnte ich damit nichts anfangen und habe dann einfach mal gegoogelt. Und dann habe ich mir einen Film dazu angeschaut. Und was soll ich sagen? Das Prinzip des offenen Dialoges ist der absolute Wahnsinn. Ich habe selten sowas tolles gesehen und konnte es gar nicht recht glauben.

Also erstmal eine kurze Erklärung: Der Open Dialogue ist ein alternativer Behandlungsansatz für Menschen in psychischen Krisen. Er wurde in den 80er Jahren in West-Lappland (Finnland) geboren und wird dort, bis heute, praktiziert. In Westlappland ist der OD allerdings keine Alternative zu irgendwas, sondern die ganz normale Behandlung für Menschen in psychischen Krisen. Dort gibt es nichts anderes. Besonders hervorgehoben wird immer die Behandlung von Psychosen, aber auch alle anderen psychischen Krisen werden dort unter dem OD in Angriff genommen. Der OD ist zu 100000000 % das genaue Gegenteil der Psychiatrie, wie wir sie kennen. Und vor allem ist er zu 100000000 % besser.

Als ich mir den Film anschaute, hab ich erstmal geheult. Dass ich nicht sofort nach West-Lappland ausgewandert bin, ist auch alles. Mich hat das alles so, so, so, so sehr berührt, dass ich nicht mehr aufhören kann darüber nachzudenken. Nirgendwo auf der ganzen Welt ist der Erfolg, in der dauerhaften Genesung von psychischen Erkrankungen, so erfolgreich wie auf diesem kleinen Fleckchen Erde. Die Leute dort werden wieder gesund. Und zwar komplett gesund. Dort wird man nicht mit Medikamenten vollgestopft, in die Klappse gesteckt und ruhig gestellt bzw. schnell wieder funktionstüchtig gemacht. Ne! Dort wird man aufgefangen und es wird einem wirklich geholfen.

Lange Rede kurzer Sinn: Schaut es euch an!

Hier klicken, um den Film anzuschauen

3 Jahre, 7 Monate, 13 Tage

3 Jahre, 7 Monate, 13 Tage

Himmel… Gerne würde ich hier jetzt erzählen, dass ich es endlich geschafft habe. Dass der Entzug vorbei ist. Dass ich durch bin. Leider ist dem nicht so.
Erstmal habe ich es, entgegen meines Vorhabens, nicht geschafft hier regelmäßig zu schreiben. Keine Ahnung.. Das ist schwerer als gedacht. Dabei habe ich mir so fest vorgenommen das zu tun. Naja, ich habe sowieso kaum Leser und deshalb ist es wohl auch nicht so wild 😉
Erst mal was zum Status Quo: Ich habe letzten Sommer meinen Job aufgegeben und mein Freund hat mich daraufhin geheiratet, damit wir von einem Einkommen leben können und so meine Arbeitslosigkeit finanziert werden kann. Halleluja. Also romantischer kann es nicht sein, oder?!
Aber jetzt mal im ernst. Als mir klar wurde, dass er das mit dem heiraten ernst meinte dachte ich, der Typ hat ne Macke. Ok, wir waren schon über 7 Jahre zusammen und er war in den schlimmsten Zeiten an meiner Seite, aber ohne zu überlegen eine Irre zu heiraten ging mir nicht in den Kopf. Ich hab versucht es ihm auszureden, weil ich dachte er macht das, weil er sich zu irgendwas verpflichtet fühlt. Aber die Entscheidung stand fest. Ich habe mir das alles so anders vorgestellt. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ich 1. überhaupt mal heirate und 2. bestimmt nicht aus einer Not heraus.
Das war schon ein echtes Scheissgefühl und ich war maßlos überfordert.
Erst als mein Onkel fast in Tränen ausbracht, weil das für ihn wohl die größte Liebeserklärung war die er je gehört hatte, hatte ich es irgendwie kapiert: Mein Freund liebt mich so sehr, dass er mich, ohne mit der Wimper zu zucken, heiratet, damit ich diesen ungeheuren Druck los bin Geld verdienen ZU MÜSSEN.
Das ist dann wohl tatsächlich Liebe ♡
Und dann ging alles auch ganz schnell. Wir haben im Juni 2017, zu Zweit, geheiratet. Und was soll ich sagen? Es war ein wirklich schöner Tag.

Ich kann euch gar nicht sagen, wie grausam das bis zur Heirat alles war. Mir wurde bewusst, dass ich es nicht mehr schaffe zu arbeiten. Ich war selbstständig in einem medizinischen Beruf und die Verantwortung war dementsprechend hoch. Die Patienten haben sich auf mich verlassen und ich konnte nicht mehr unzuverlässig sein.
Der Entzug macht aber genau das mit dir: Du bist unflexibel, unzuverlässig und NULL belastbar. Und irgendwann geht es nicht mehr. Jeden Tag die panische Angst vor dem nächsten Tag und den anstehenden Terminen. ‚Was ist, wenn du es Morgen nicht schaffst?‘, ‚Was ist, wenn du während den Terminen zusammenbrichst?‘. Ganz ehrlich? Schluss. Ende. Aus.
Ich war also (mal wieder) an einem absoluten Tiefpunkt angekommen. Und dementsprechend war ich hochgradig verzweifelt.
Ich wollte nicht, dass es so ist. Die Vorstellung meinen Job aufzugeben, war als würde ich mir mein eigenes Grab schaufeln. Stress ist im Entzug allerdings der absolute Endgegner. Und eigentlich hätte ich mir sagen sollen, dass die Entscheidung eine Entscheidung FÜR mich und meine Heilung ist. Dass das ein Schritt in Richtung Selbstliebe ist, weil ich auf mich aufpasse. Aber so war es nicht. Es fühlte sich an, als würde ich einen riesengroßen Rückschritt machen. Es fühlte sich an als wäre die Arbeit das, was mich als noch halbwegs normalen Menschen definiert. Tja. Und dann war es so weit. Ich habe meinen Job geschmissen. Das Gefühl finanziell abhängig zu sein, ignoriere ich komplett. Ich versuche es zu akzeptieren. Jedenfalls war und bin ich so dankbar, dass dieser unglaubliche Druck weg ist.

Jetzt haben wir schon Ende Februar 2018 und ich warte immer noch. Ich warte und warte und warte. Die Symptome sind ein einziger HURENSCHEISS und eigentlich habe ich keinen Bock mehr.

Hier eine kleine Auswahl meiner Symptome:

  • Tinnitus
  • Brustkorbschmerzen und dadurch Kopfkino
  • Verspannungen
  • Schwindel
  • Derealisation
  • Unruhe
  • Angst/Panik
  • Terror
  • Magen/Darm
  • Palpationen
  • Fatigue
  • Zwangsgedanken
  • Das Gefühl, dass etwas ganz grausames passieren wird

Jetzt noch was Gutes: ICH KANN SEIT 3 WOCHEN WIEDER LESEN. Und zwar ganze Bücher. G.A.N.Z.E. Bücher. Ich hoffe, das bleibt so und ist nicht nur wieder eine Phase. Ich kann euch gar nicht sagen wie sehr mir meine Bücher gefehlt haben. Und weil das lesen ein ganz schön teures Hobby ist, hat mir meine Ma ihre Payback-Karte gegeben. Mit 10.000 Punkten. Yeah. Danke Mama. Und Thalia: Ich komme!
Macht es gut und bis bald.

Satz mit X – Das war wohl nix

Satz mit X – Das war wohl nix

Da habe ich doch extra zum Allmächtigen gebetet, dass ich nicht wieder ‚zusammenbreche‘ und meinen Notfallplan nicht brauche…
Und dann ist es doch passiert. Pünktlich zum August geht gar nichts mehr. Das letzte Mal hatte ich so eine Ich-kann-nichts-mehr-Symptomwelle letztes Jahr im Juli. Für ca. 4 Wochen. Aber diesmal bin ich mir zu 1002556556647997631 % sicher, dass es das jetzt war. Das denkt man zwar IMMER, aber diesmal ist es ganz sicher so. Ich bin überzeugt nie wieder arbeiten zu können, nie wieder normal zu werden, nie wieder gesund und unbeschwert leben zu können. Dieser Zustand wird jetzt so bleiben. Basta!
Himmel ist das anstrengend. Heute sind es 24 Monate und 20 Tage, also über 2 Jahre befinde ich mich nun im Entzug von SSRI-Antidepressiva und ich habe echt keinen Bock mehr. KEINEN. BOCK. MEHR.!!!!!
Zwischendurch kommt da eine enorme Traurigkeit in mir hoch gekrochen. Dann sitze ich hier wie ein Häufchen Elend, heule wie ein Schlosshund und hasse alle Menschen dafür, dass sie normal leben dürfen und ich nicht. Für mich ist es jetzt schon wieder eine extrem schwere Sache nur in die Dusche zu gehen oder mir meine scheiß Haare zu kämmen. Alles ist anstrengend. Nur dass ich existiere ist anstrengend und schwer.
Ich kann oft gar nicht glauben, dass mir das alles wirklich passiert ist. So war das nicht geplant. Ich hab mir das alles ganz anders vorgestellt. Ich dachte wirklich, dass mir die Pillen langfristig helfen und mir die Scheisse da vom Hals halten. Jetzt ist es aber so, dass ich mir mit jeder Pille die Scheisse erst angetan habe. Wieso hat mir das keiner gesagt? Wieso hat mich keiner darüber aufgeklärt, dass dieses Risiko besteht? Ich hätte doch nie, nie, nie im Leben dieses Zeug über Jahre in mich reingeschaufelt, wenn ich gewusst hätte was ich mir damit antue!! Wie mich das ankotzt. Ich wurde abhängig gemacht, ohne dass ich davon wusste. Besonders toll ist auch, dass ich für verrückt erklärt und als Verschwörungstheoretikerin abgestempelt werde, wenn ich von dem Entzug erzähle. Das würde es ja, in dem Ausmaß, alles gar nicht geben. Nein! Ich hab einfach einen an der Waffel! Deutschland scheint echt das letzte Hinterland zu sein. Also im englischsprachigen Raum gibt es das sehr wohl. Dort ist dieser ‚Hokuspokus‘ unter Post Acute Withdrawal Syndrom (PAWS) bekannt. Und dort ist alles fein säuberlich dokumentiert.

Wenn ich doch wenigstens wüsste wie lange ich damit noch zu tun habe. Sind es 3 Jahre, sind es 5 Jahre, oder sind es 10 Jahre? Diese Ungewissheit ist echt ultabeschissen.
Aber was hab ich für ne Wahl? Mir wird keiner sagen können wann ich da durch bin (und ob ich überhaupt jemals damit fertig sein werde). Vielleicht hab ich ja auch mein Hirn und mein Nervensystem so zerstört, dass es nie wieder ganz heilen wird. Sorry für meinen Pessimismus, aber ich kann gerade nicht anders.

Ich mach hier jetzt aus.

Teilzeitpsycho

Teilzeitpsycho

Vorweg: Gestern ist es schon wieder explodiert. Ein Feuerwerk aus Verzweiflung, Terrorgefühlen, Heulkrämpfen, Unruhe, Unbeweglichkeit, Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Angst, Panik, Durchfall, Magenschmerzen, Missempfindungen uvm.
Ich war bis heute Vormittag in der völligen Schockstarre. Ja, auch nach 24 Monaten und 14 Tagen habe ich mich nicht daran gewöhnt. Von ‚Routine‘ mal ganz zu schweigen. Immer noch verwandel ich mich binnen Sekunden in einen Wildhasen, der sich Samstags Mittag in die Kölner Innenstadt verlaufen hat. Diese ganzen Symptome knallen so auf mich ein, dass ich gar nicht mehr weiß was ich zuerst tun soll. Das einzige was ich in dem Moment noch weiß ist, dass ich atmen muss. Als nächstes kramt mein verzweifeltes Hirn sofort in der Mantrakiste.

‚Ruhig bleiben.‘
‚Alles wird gut.‘
‚Gleich ist es besser.‘
‚Keine Panik.‘
‚Tief einatmen.‘

Als nächstes (wenn es so schlimm ist wie gestern und heute Morgen) muss ein Notfallplan her. Alle Eventualitäten werden durchgespielt. Ich MUSS dann einen Plan haben wenn ich zB. nicht mehr in der Lage bin zu arbeiten. Ich bin selbstständig (ich weiß nicht, ob ich das schon erwähnt habe?) und ich brauche das dann so dringend, dass ich im Notfall weiß was ich zu tun hab. Ich kann dann einfach gar nicht ‚abwarten und Tee trinken‘. No Way.
Das ist wirklich so als würde eventuell Krieg ausbrechen. Da kannste auch nicht abwarten und es auf dich zukommen lassen. Also… naja, kannste natürlich schon. Wenn dann allerdings die Bomben fliegen, biste dann schon froh, wenn du dir nen Bunker gebaut hast und da ein paar Konserven im Regal stehen. Also jedenfalls ist das vom Gefühl her ziemlich, ziemlich ähnlich.

So! Gestern, wie gesagt, wars schon echt mies. Allerdings hatte ich frei und war der leisen Hoffnung, dass ich mit nem Tag auf der Couch das Schlimmste verhindern kann. Als ich dann heute wach wurde, war es ruhig. Ich bin dann, immer noch ruhig, in die Dusche gegangen (das ließ sich leider nicht vermeiden). Danach hatte ich ein kurzes Telefonat mit meiner Mutter. Und ca. 2 Minuten später kam es dann wie es kommen musste. Eine Panik und Verzweiflung, dass ich wieder zum Wildhasen mutierte. Ich hab mir dann zitternd die Haare gekämmt und saß mit Angstschiss auf dem Pott (das gehört nämlich auch zum Pflichtprogramm). Ich ratterte dann wieder an meinem Notfallplan rum… „Was ist wenn…?“ und habe mich dann, im Schweiße meines Angesichts, dazu gezwungen meine beiden Termine zu machen. Ich hab mir gesagt: „Du gehst jetzt arbeiten und wenn es nicht geht hast du es wenigstens versucht!“. Wisst ihr was nämlich das Dumme an der Sache ist? Sobald einen diese Terrorgefühle überschwemmen, hat man das d.r.i.n.g.e.n.d.e. Bedürfnis S.O.F.O.R.T. zu handeln. Man muss augenblicklich alles absagen, die Hütte niederbrennen und sich beim betreuten Wohnen anmelden. Also wäre ich eigentlich niemals zu den Terminen gefahren, sondern hätte am liebsten alles abgesagt, Arbeitslosengeld beantragt um mich dann zum sterben auf die Couch zu legen. So ist das nämlich mit diesem ganzen Scheiss!
Jetzt bin ich wieder Zuhause und mein Fazit des Tages ist: Die Termine haben irgendwie geklappt. Zwar mit viel Schweiß und wenig Spucke, aber es ging. Und jetzt bete ich zum Allmächtigen, dass ich bitte, bitte, bitte nicht komplett zusammenbreche.

Amen.

 

 

P.S.: Übrigens habe ich Momentan meine geliebte Periode und ich kann euch eins sagen: PAWS und der Menstruationszyklus hassen sich!

Wellenreiter

Wellenreiter

Im Moment sehne ich mich nach 2015. Letztes Jahr war der Wellen-Fenster-Verlauf total eindeutig. Ich hatte fiese Symptom-Wellen und danach über mehrere Wochen ein Fenster. Mittlerweile ist es so, dass sich Wellen und Fenster quasi täglich die Klinke in die Hand geben. Mal ist es ok, mal ist es gut, mal ist es schlecht, dann wieder ne Katastrophe. Und das Ganze wechselt sich auch an einem einzigen Tag gerne im Minuten- bis Stundenrhythmus ab. Das ist so anstrengend sag ich euch. Diese Gefühle aushalten zu müssen ist das aller Grausamste. Es ist bei mir dann immer so, dass sich die Gefühle komplett über mich legen, mich ganz vereinnahmen. Gestern Abend war es, mal wieder, das Suizidgefühl. Ich kann es nicht anders erklären. In diesen Momenten habe ich keine andere Wahl als dieses Grauen zu ertragen. Ich kann an nichts anderes denken. Immer und immer wieder werde ich überrollt. Was habe ich mir da nur angetan? Wie konnte ich nur so blöd sein, das Citalopram einfach immer weiter zu schlucken, als gäbe es kein Morgen mehr? Wie konnte ich nur so blind vertrauen? Ich weiß, dass das passiert wenn man leidet wie ein Hund und jemand einem die helfende Hand reicht. Aber ich wäre wirklich(!!!!!) besser selber wieder aufgestanden. Meine Mutter hätte mich damals besser in irgendeine Almhütte geschleppt, als zum Psychiater, dann wäre ich da durch gegangen, wäre an dem Ganzen gewachsen und wäre heute eine normale 28-jährige. Stattdessen muss ich jetzt so lange warten, wie die Selbstheilung eben dauert und diese Ungewissheit macht mich fertig.
Ich frage mich wirklich wie lange dieser Skandal mit den Psychopharmaka noch so weiter läuft? Wenn man mal überlegt, dass das Contergan schon jahrelang auf dem Markt war, obwohl die Schädigungen  ganz offensichtlich waren, wird es mit den Psychopharmaka wohl noch ewig so weiter gehen. Das ist einfach so grausam. Ich meine, es steht ja schon im Beipackzettel, dass das Zeug Suizide auslösen kann. Genau so kann es Mordphantasien auslösen, von den anderen unzähligen Symptomen mal abgesehen. Ich habe sie selbst erlebt. Bis heute.
Was aber dann wirklich noch das Allerbeste ist, ist wenn man dann von anderen als Verschwörungstheoretikerin abgestempelt wird. Da könnte ich dann auch nur noch ausrasten. Ich meine: Hallo??? Heute verbringt fast jeder mehr Zeit mit seinem Handy als mit anderen Menschen. Dann setzt euch doch gefälligst mal hin und recherchiert mal ne halbe Stunde. Entschuldigt bitte, aber einem Depressiven oder sonstwie psychisch erkrankten Menschen Medikamente zu geben, die so heftige Nebenwirkungen haben, ist einfach UNVERANTWORTLICH!!! Und wenn es dann passiert ist, heisst es: „Tja, das tut uns leid, aber da konnten selbst Medikamente nicht mehr helfen!“
FUCK OFF! Echt! Ich fass das einfach alles nicht.

»[…]  Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht. Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten […]«

Das ist ein Auszug aus dem Eid des Hippokrates. Also ich krieg mich vor lachen nicht mehr ein. Ganz ehrlich….

Der Horror im Kopf.

Der Horror im Kopf.

Ich bin heute 20 Monate und 15 Tage im Entzug nach jahrelangem Citalopram-Gebrauch. Was mir immer wieder auffällt ist, dass man mir diesen Horror meist nicht ansieht. Das liegt wohl daran, dass das was im Kopf passiert einfach nicht mit der Realität übereinstimmt. Würde ich mich nach Außen so verhalten, wie der Inhalt meiner Birne, dann wäre ich das, was man im Volksmund als einen „durchgeknallten Psycho“ tituliert. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als wäre man gezwungen einen grausamen 3D-Horrorfilm zu schauen. Weggucken kann man nicht. Man sitzt festgekettet im Kinosaal und MUSS sich den Film ansehen, immer und immer wieder. Dazu kommt noch, dass es eine Art Gefühlsübertragung gibt. Das heisst, du fühlst in jeder Szene genau das selbe wie die Filmfiguren. Ohne Ausnahmen.

Mittlerweile läuft mein Film, Gott sei Dank, nicht mehr in Dauerschleife und die Ketten sind auch nicht mehr so fest, aber wenn ich einmal im Kino sitze, ist es immer noch extrem schrecklich.
Ich kann auch mittlerweile überwiegend wieder geduscht und zurechtgemacht ins Kino gehen, das ändert aber nichts daran, dass der Film immer noch genauso grauenvoll ist.
Für meine Mitmenschen ist es aber oft recht schwer, meinen Zustand einzuschätzen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich mein Zustand innerhalb von Sekunden ändern kann. In dem einen Moment bin ich voller Zuversicht und Hoffnung, im anderen Moment fühle ich mich, als könnte ich jeden Augenblick zusammenbrechen.
Ich lebe jetzt also seit 20,5 Monaten in einer Welt, die ich nicht planen kann. Es kann jeden Moment kippen. Die Vorstellung, dass ich im Leben, vor diesem Entzug, zB. Urlaube schon ein Jahr vorher gebucht habe, ist für mich heute völlig undenkbar. Genauso verhält es sich mit Verabredungen – Meine Mitmenschen wissen mittlerweile, dass ich mich  zwar verabrede, aber ob ich wirklich kommen kann, steht auf einem anderen Blatt.
Und dann ist da natürlich noch die liebe Arbeit…. Ich bin, Gott sei Dank, selbstständig und kann mir meine Termine größtenteils gut einteilen. Aber trotzdem weiß ich nie, wie viel Morgen geht. Seit einigen Wochen ist es so, dass ich MAXIMAL 4 Stunden arbeiten kann. Ich merke schon nach einer Stunde, dass ich fertig bin und der Alarm angeht. Nach 4 Stunden bin ich dann allerdings fix und fertig. Das Schlimme für mich ist dabei, dass ich letztes Jahr schon Zeiten hatte, an denen ich ganz gut 7-8 Stunden (oder länger) arbeiten konnte. Arbeit bedeutet für mich, in Zeiten von Symptom-Wellen, einfach unglaublichen Stress. Der Wecker klingelt, duschen, anziehen, Auto fahren, Termine abhalten.. Das Alles schlaucht mich so sehr, dass ich danach mit butterweichen Knien Zuhause ankomme.

Tatsächlich mache ich die Erfahrung, dass dieser Entzug, bei mir, keinem klaren Muster zuzuordnen ist. Ich kann natürlich grundsätzlich sagen, dass es mir, im Vergleich zur Akutzeit, tausendmal besser geht, aber trotzdem ist es immer wieder eine Überraschung und es erfordert viel Geduld und Spucke einfach weiter zu machen und die Überraschungen in Kauf zu nehmen, egal wie sie ausfallen. Es ist auch unerheblich was ich mache, ob es arbeiten ist, Verabredungen, Restaurantbesuche – Alle Aktivitäten bergen das Risiko, dass die Symptome schlimmer werden. Und dieses Wissen kann einen wirklich, wirklich irre machen.

 

In diesem Sinne lasst uns beten, dass es uns bald wieder gut geht.

Karina

Wie es sich anfühlt…

Wie es sich anfühlt…

Ich kann euch eines mit ziemlicher Sicherheit sagen: Der Entzug ist wirklich das Grausamste was man sich vorstellen kann.
Die Symptome sind so bizarr und gespenstig, dass sie dir wortwörtlich den Boden unter den Füßen wegreißen. Nichts ist mehr sicher, alles bedeutet Gefahr und das Einzige worauf man hoffen kann ist die Zeit. Das bedeutet du musst es aushalten. Du musst da durch. Nur so geht es irgendwann vorbei.
Sollte der Tag kommen, an dem ich dieses gewaltige Trauma tatsächlich hinter mir lassen kann, werde ich tanzen. Ich werde das Leben tanzen. Ich werde jeden Morgen voller Demut und Dankbarkeit erwachen und mein Glück nicht fassen können.
Ich zwinge mich jeden Tag dazu, an dieses Wunder zu glauben. Ich zwinge mich, in der Hoffnung, dass es irgendwann wirklich passiert.

Ich habe mich dazu entschlossen meine Entzugssymptome aufzulisten. Die Liste werde ich von Zeit zu Zeit erweitern. Ich weiß ja schließlich nicht was Morgen kommt…

Fangen wir mal an…

• Zwangsgedanken (hauptsächlich mit suizidalem/gewalttätigem Inhalt)
• Besessenheit (Gedanken bzw. ganze Themen fressen sich fest wie eine Zecke)

• „Libidoverlust“ ist untertrieben

• Sich ständig wiederholende Gedanken

• Sich aufdrängende schlimme Erinnerungen
• Depression
• Angst/Panik
• Paranoia
• Völlige Verzweifelung
• Hoffnungslosigkeit
• Entsetzen
• Neuroemotionen
• Ständige Zweifel
• Lärm im Kopf (als stünde man auf einem Festivalgelände)
• Appetitlosigkeit
• Magen/Darmbeschwerden
• Durchfall
• Übelkeit
• Würgen/Erbrechen
• Schlimme Unruhezustände
• Tinnitus (beidseitig)
• Hitze/Kältewallungen
• Hautprobleme
• Ständiger Harndrang
• Nervosität
• Den Drang immer eine bestimmte Bewegung zu machen (zB. mit dem Fuß wippen)
• Depersonalisation (bis hin zur totalen Identitätskrise)
• Derealisation
• Stoffwechselstörungen
• Nahrungsmittelunverträglichkeiten
• Minimalste bis keine Stresstoleranz
• Aggressionen
• Gefühllosigkeit
• Nicht klar denken können
• Zittern
• Das Gefühl komplett durchzudrehen und verrückt zu werden
• Herzrasen
• Hoher Blutdruck
• Schwindel
• Gangunsicherheit
• Sehstörungen (Blitze und Schleier im Blickfeld)
• Reizüberempfindlichkeit (Lärm, Licht, Gerüche)
• Zeitweise Schlaflosigkeit
• Körperliche Daueranspannung oder die völlige Erschöpfung
• Nicht sprechen können
• Nicht weinen können
• Heulkrämpfe
• Zeitweise Bewegungsunfähigkeit
• Völlig unangemessener Drang zu lachen
• Die Unfähigkeit Unterhaltungen zu folgen
• Soziale Isolierung

Alle mentalen/psychischen Symptome kommen mit einer so emotionalen Heftigkeit, dass ich die Buchstaben nicht so groß schreiben könnte, um dem den angemessenen Ausdruck zu verleihen. Es ist einfach die absolute Hölle und es fühlt sich immer wieder aufs Neue so an, als wäre der Drops jetzt gelutscht. Ende. Aus. Error.
Auch nach 18,5 Monaten habe ich mich nie an diese ganzen Zustände „gewöhnen“ können. Es ist immer wieder das absolute Grauen und macht mich jedes Mal erneut komplett fassungslos. Wenn es ganz schlimm ist, geht es einzig und allein darum, den nächsten Moment zu überleben. Und selbst das ist -gefühlt- ein Ding der Unmöglichkeit.
Ich weiß, dass es schwer vorstellbar ist was ich hier schreibe. Ich bin nun wirklich ein empathisches Wesen, aber das kann keiner „nachfühlen“, der nicht selbst da durch gekrochen ist. Das sind nämlich die Abgründe der menschlichen Seele und des menschlichen Seins. Da ist es nur klug von Mutter Natur, dass da die Empathie ihre Grenzen erreicht hat. Zum Schutze der Menschheit.

Gute Nacht.
Karina.

Meine Geschichte.

Meine Geschichte.

Um zu erklären wie es überhaupt zu all dem gekommen ist, muss ich etwas ausholen.
Alles fing vor ca. 8 Jahren an. Mit süßen 19.
Meine erste Panikattacke überfiel mich aus, so ziemlich, heiterem Himmel. Zu der Zeit war einfach alles Scheiße. Schule, Praktikum, Beziehung… Alles war ätzend.
Und so kam es also, dass meine Seele nach einer Veränderung und nach Hilfe schrie. Das tat sie, in dem sie mir eine Todesangst einjagte. Ich war mir 100 % sicher, dass ich sterben musste. Ich litt ganz sicher an einer tödlichen Krankheit, oder ich würde jede Sekunde einen Herzinfarkt bekommen. Die Panik ließ mich nicht mehr los. Über Wochen. Ich rannte von einem Arzt zum nächsten. Ich hatte die abgefahrensten Untersuchungen und alle sagten mir das Gleiche: „Liebe Frau Blume, freuen Sie sich, sie sind gesund wie ein junges Reh!“. Das konnte doch nicht wahr sein?!?!?! Ich war mir doch so sicher!!!
Ganz egal wie oft mir der 1000. Doktor Entwarnung gab, ich hatte es im Urin. Da war was schlimmes im Busch. Irgendwann, nach Wochen und zig schlaflosen Nächten, war ich so groggi, dass ich zum Psychiater rannte. Der größte Fehler meines Lebens, wie ich heute weiß. Es dauerte exakt 10 Minuten und ich hatte meine erste Diagnose: „Panikstörung“. Die erste Packung Citalopram hielt ich auch unmittelbar in den Händen. WOW! Eine Tablette die meine Panik verschwinden lässt?! Und das aller Beste war: Ich konnte die Tabletten nehmen bis ich alt und grau war. Großartig!!!
Und als wäre das noch nicht genug, hatten diese Tabletten auch kaum Nebenwirkungen. Und weil sich meine Psychiaterin da auch so sicher drüber war, nahm sie mir gleich die Packungsbeilage weg, weil mich das nur wieder verunsichern würde. Und da steht ja auch wirklich allerhand Blödsinn drin. MENSCH! Die Frau war der Hammer und hatte es kapiert: Ich wollte mit dem ganzen Psychokram nichts zu tun haben sondern endlich wieder funktionieren.
Damit ich auch wieder gut schlafen konnte, gab es noch gleich eine Packung Zopiclon obendrauf. Die werden es richten. YEAH! Beiläufig wurde mir noch angeraten vielleicht mal über eine Therapie nachzudenken.
Und so begann, voller Überzeugung in die moderne Medizin, mein Weg geradewegs in die Hölle.

Nach ungefähr 6 Wochen der Einnahme war ich wie ausgewechselt. Ich hatte tatsächlich keine Angst mehr. Und weil es so schön war, waren all meine anderen Gefühle auch vernichtet. Es war ziemlich Roboter-mäßig, aber hey, scheiß drauf! Die Panik war weg. Auch die 30 kg Gewichtszunahme waren mit schnurz. Hauptsache ich war wieder „normal“.
Ich war dann tatsächlich auch mal bei einer Therapeutin, aber das hab ich ganz schnell wieder sein gelassen, weil ich war ja schließlich total gesund.

Das erste Mal hatte ich das Citalopram nach ungefähr 3 Jahren aufgehört. Ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht und die Pillen nur noch ab und zu mal genommen und es dann irgendwann ganz gelassen. Ich kann mich nur noch sporadisch an die Zeit erinnern und habe vom zeitlichen Ablauf keinen genauen Plan, deshalb sind das alles nur Schätzungen. Ich weiß aber, dass ich mich die ersten Monate ohne SSRI ganz ok fühlte. Hier und da ein paar Symptome, aber nichts was mich jetzt aus der Bahn warf. Jedenfalls kam der große Knall erst Monate später. Von einer Sekunde auf die andere war ich nicht mehr der selbe Mensch. Ich saß auf der Couch, das Fenster weit offen und plötzlich überkam mich ein grausames Gefühl.. Ich muss springen!
Vor lauter Panik und Verzweifelung schnappte ich mir mein Handy, rannte die Treppen runter, setzte mich auf die letzte Stufe und rief meine Mutter an. Ich erzählte ihr von meinen Gefühlen und Gedanken und konnte selbst nicht fassen was da gerade mit mir passierte. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Meine Mutter redete besänftigend auf mich ein. Ich solle auf meinen Freund warten (der noch arbeiten war) und wir sollen uns dann auf den Weg zu meinen Eltern machen. So saß ich da auf der Treppe und traute mich nicht mehr nach oben. Dieses Gefühl, dieser Drang aus dem Fenster springen zu müssen, hatte sich so in meinen Körper gefressen, dass es mich lähmte. Irgendwann schlich ich mich dann zurück in die Wohnung und kauerte mich auf die Couch. Ich traute mich nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Christian war noch nicht ganz die Türe rein, da eröffnete ich ihm die frohe Botschaft, dass wir aus der Wohnung müssen, weil ich es keine Sekunde länger aushalten würde. So packten wir unsere 7 Sachen und fuhren 50 km weiter zu meinen Eltern ins Erdgeschoss. Zu der Zeit war ich Studentin und hatte keine beruflichen Verpflichtungen. Gott sei Dank, denn ich konnte nichts mehr.
Das Leben war nicht mehr das was es vorher war. Ich konnte nicht mehr essen (und damit meine ich NICHTS), ich ging 1 Mal die Woche duschen, ich konnte keine Musik mehr hören, ich konnte mich nicht mehr frei bewegen, ich konnte nicht mehr klar denken, ich konnte keine Menschen mehr ertragen. Ich war am Ende. Meine Mutter schleppte mich jeden Morgen mit in ihr Büro und dort saß ich dann und dachte ich müsse sterben. Wir bekamen relativ zügig einen Termin beim Psychiater. Da ich mittlerweile in einer anderen Stadt war, war es nicht so einfach einen Termin bei einem neuen Arzt zu bekommen.
Ich erzählte dem Arzt von meinen Gedanken. Die neuen Diagnosen waren nach 15 Minuten gestellt: „Schwere Depression“ und „Zwangsgedanken“. Es war keine Rede mehr von meiner einstigen Panikstörung. Aber das war mir auch egal, hauptsache ich bekam wieder meine Pillen, die diese grauenhaften Gefühle auslöschen! Und so war es dann auch. Ich hielt meine Citalopram in den Händen und dazu noch ein Döschen Tavor, damit ich mich beruhigen konnte und das Einschleichen der SSRI erträglicher wurde.
Es hat keine 4 Wochen gedauert und ich war wieder Roboter-Karina. Ich habe einfach nichts mehr gefühlt und wenn, dann nur ganz wenig oder aber ganz viel.
Ich schluckte die Pillen weitere 3 Jahre und setze sie dann ab. Keiner der Ärzte hatte in all der Zeit auch nur ein Wort über das Ausschleichen, oder gar über das Absetzen verloren. Es war ganz klar, dass ich die Tabletten jetzt für den Rest meines Lebens nehmen würde.
Ich dachte wirklich ich sei gesund. Ich brauchte die Tabletten nicht mehr. Und weil die Tabletten ja so ungefährlich waren, dachte ich noch nicht mal eine Sekunde über sowas wie Ausschleichen nach. Das selbe Spiel also nochmal. Und auch jetzt war das Absetzen, scheinbar, kein Problem. Vielleicht hier und da mal ein Symptom, aber alles völlig ok. Dazu kam, dass ich mitten in meinem Examen steckte und auch echt keine Zeit hatte mich mit irgendwelchen Symptomen zu beschäftigen.
Es muss dann ungefähr 4-5 Monate nach der letzten Tablette gewesen sein. Christian und ich stritten uns und als ich vom Balkon aus die Wohnung betrat,  explodierte in mir eine Bombe. Man kann es sich wahrscheinlich nicht vorstellen, aber aus einer normalen Frau wird binnen Sekunden ein vollkommenes Wrack. Es ist mit Worten nicht zu beschreiben, welche Gefühle da in einem ausbrechen. Von welchen Gedanken man gequält wird. Es ist einfach nicht auszuhalten. Nun saß ich da und konnte nicht fassen, dass ich immer noch so ein Psycho war. Nach all den Jahren. In meiner Verzweifelung kramte ich aus irgendeinem Karton noch einen Blister Citalopram und warf mir gleich mal eine ein. Ich musste mich nur gedulden und zusammenreißen, dann war es sicher wieder vorbei, so wie immer. Ich geduldete mich für genau 2 Tage und dann konnte ich nicht mehr. Wir fuhren an einem Wochenende in die nächste Psychiatrie, weil ich dringend Tavor brauchte. Tatsächlich gab mir der nette Arzt eine Wochenendration mit nach Hause. Ich musste aber versprechen, am Montag gleich zu meinem Psychiater zu gehen. Meine Eltern wussten natürlich Bescheid und so holte mich meine Mutter Montag Morgen ab und wir fuhren zum Arzt. Ich hatte gerade 4 Wochen vorher eine neue Stelle in einem Krankenhaus angefangen und musste mich schon krank melden.
Beim Psychiater angekommen, das altbewährte Spiel: Citalopram wieder einschleichen und Tavor obendrauf.
Leider wurde daraus nichts mehr, bis auf das Tavor hat nichts gewirkt. Jeden Tag setzte ich das kleine bisschen Hoffnung in meine Dosis Citalopram. Ich betete zu Gott, dass es doch endlich wieder zu wirken anfängt. Das hat doch sonst auch immer geklappt. Mein Psychiater wollte mich wöchentlich sehen und schraubte die Dosis Citalopram immer höher und die Dosis Tavor immer weiter runter.
Nachdem ich immer tiefer und tiefer abrutschte und kaum noch atmen konnte vor Wahnsinn, hatte ich auf der Arbeit die Wahrheit gesagt. 2 Tage später bekam ich die Kündigung. Und weil Christian natürlich seinen Job hatte und ich alleine nicht mehr überlebensfähig war, zogen wir schön wieder zu meinen Eltern.
Die Wochen strichen ins Land und es tat sich nichts, außer dass dieser Horror unvorstellbare Ausmaße annahm. Ohne meine Tavor wäre ich definitiv auf der Geschlossenen gelandet. Dank des Familienbetriebes konnte ich tagsüber wieder bei meiner Mutter im Büro sein. Dort lag ich auf einem Feldbett und war mir sicher, dass ich jeden Augenblick den Verstand verlor. Heute weiß ich nicht wie ich das aushalten konnte. Minute für Minute. Tag für Tag. Woche für Woche. Ohne einen Augenblick des Friedens.

So verging die Zeit. Ich wusste nicht mehr welcher Tag war, ich wusste nicht mal mehr wer ich selbst eigentlich war. Ich war pausenlos damit beschäftigt den nächsten Moment zu überstehen. In mir brannte ein Feuer und ein Vulkan nach dem anderen brach in mir aus.

Ich verbrachte die Tage damit, Antworten auf meine Fragen zu suchen. Was passierte da in mir? Wie krank war ich wirklich? Was konnte ich nur tun? Was waren das für unerklärliche Zustände? Aber vorallem: Wann wirkten die beschissenen Tabletten endlich?
Und so befragte ich Google. In jeder erdenklichen Form tippte ich Begriffe in die Suchleiste. Stundenlang. Zu dieser Zeit traf ich das erste Mal auf ein Forum, dass sich kritisch mit Psychopharmaka beschäftigte. Das Wörtchen „kritisch“ habe ich schlichtweg überlesen und so stellte ich dort meine Fragen und wollte einfach nur hören, dass ich noch ein bisschen warten müsse und dann würde  die Zauberwirkung der Pillen NATÜRLICH wieder einsetzen. Nun, was soll ich sagen?! Die Antwort hatte mich zutiefst erschüttert. Da schrieb doch tatsächlich eine der Moderatorinnen, dass sie nicht glaubt, dass das Citalopram noch mal wirken würde. Dass die Wirkung nach all den Wochen längst hätte einsetzen müssen und dass sie mir rät, das Citalopram innerhalb weniger Tage abzusetzen, weil es in ihren Augen paradoxe Effekte hätte. Ich war so entsetzt über diese Antwort, ich wurde so panisch, dass ich den Computer ausschaltete und gleich noch ne Tavor einwarf.
Als ca. 2 Monate vergangen waren, ohne dass ich mich auch nur in irgendeiner Weise besser fühlte, traf ich den Entschluss, dass ich weg musste. Ich konnte mein Leben, so wie es war, nicht mehr ertragen. Es ging nicht mehr. Wir lebten zu Viert auf 60 qm und jeder hatte Angst ein Wort zu viel zu sagen, weil ich es vielleicht nicht ertragen konnte. Ich schaute mir also unzählige Kliniken im Internet an. Schließlich landete ich bei einer Privatklinik, die von meiner gesetzlichen Krankenkasse, aus irgendeinem Grund, bezahlt wurde. 3 Tage später zog ich also um.
Meine Mutter und Christian brachten mich Vormittags mit gepacktem Koffer in die Klinik. Alles, wirklich alles, in mir schrie danach wieder nach Hause zu fahren. Aber ich hatte mich gezwungen da zu bleiben. Ich betrat mein Einzelzimmer im Hotelstil und dachte meine Sicherungen knallten jeden Moment durch. Wie soll ich denn ALLEINE in einem Zimmer überleben? Wer passt denn dann bitte auf, dass ich nicht auf dumme Gedanken komme und mir wirklich was antue? Ich fühlte mich so verloren wie noch nie in meinem Leben. All das Schöne, an der wirklich netten Klinik, konnte ich nicht sehen. Das Einzige was ich seit Monaten wahrnahm, war dieser Horrorfilm der 24/7 lief. Für alles andere war ich blind.
Nach 2 Stunden schickte ich meine Mutter und Christian nach Hause. Noch eine Minute länger und ich würde wieder mitfahren. Die Tür fiel ins Schloss und ich sackte zusammen. Da saß ich nun in meinem schönen Einzelzimmer und meine Welt brach schon wieder in tausend Stücke. Ganz tief in mir spürte ich, dass mit mir was nicht stimmte. Da lief irgendwas komplett aus dem Ruder.
Ich rappelte mich nach einer gefühlten Ewigkeit auf und packte meine Sachen aus. Ein extremer Kraftakt. Die Vorstellung, jetzt alleine hier an diesem Ort zu sein, machte mich komplett irre. Mein Zimmer lag im 1. Stock und ich hatte einen Balkon zum Garten hinaus. Ich traute mich dann irgendwann raus. Ich schaute über das Geländer und sah mich schon unten auf dem Boden liegen. Ich weiß wie absurd das ist, denn wenn ich aus dem 1. Stock springe breche ich mir im schlimmsten Fall den kleinen Finger. Aber es fühlte sich an als würde ich auf dem Dach im 15. Stock stehen.

In den ersten Tagen lernte ich die anderen kennen. Ein ganz schön bunter Haufen. Von Depression, über Borderline bis Burnout. Alles dabei.
Was mir aber sehr schnell klar wurde: Ich war irgendwie anders.
Ich habe mich viel mit den anderen Patienten unterhalten. Ich hatte die Hoffnung, endlich eine Antwort auf meine Fragen zu bekommen. Ich wusste zwar um meine Diagnosen, aber ich wusste, dass da was anders war. Wenn ich mich so durch die anderen Diagnosen fragte, kannte ich die Symptome von jeder einzelnen aus eigener Erfahrung.
Ich hatte, meinen Recherchen zu Folge, also eine Psychose, Borderline, Depressionen, eine Angststörung in allen Formen, Schizophrenie und ungefähr alle bekannten Persönlichkeitsstörungen. Na dann, Prost Mahlzeit.

Meine Tage fingen immer gleich an: Die Augen gingen auf, dann dauerte es 30 Sekunden und der Film ging los. Ich spürte das Entsetzen in jeder Zelle meines Körpers. Vom Kopf bis in die Zehen. Ich sprang aus dem Bett und saß mit einem Puls von 150 auf dem Klo, weil ich Durchfall hatte. Dann musste ich so lange würgen bis ich in den Mülleimer kotzte. Ich zitterte am ganzen Körper. Als ich vom Klo kam, putzte ich mir in einem Affenzahn die Zähne, knotete mir irgendwie die Haare zusammen, zog irgendwelche Klamotten an und dann endlich RAUS. Ich wurde vom Teufel gejagt. Dann saß ich draußen in der Raucherecke und rauchte wie ein Schlot. Das Rauchen war nämlich wirklich das Einzige, was ich noch aus meinem alten Leben hatte und was noch funktionierte und deshalb war es für mich enorm wichtig.

In der Klinik hatte jeder Patient seinen Bezugstherapeuten. Ich also auch meinen.
Nach der ersten Stunde bei Herrn Müller, sagte der mir zum Abschied folgendes: „Also Frau Blume, ich weiß zwar nicht was sie haben, aber sie sind nicht psychisch krank. Zumindest nicht im klassischen Sinne.“ Bitte was? Hä? Hatte der das gerade wirklich gesagt? Als ich aus der Tür war, brach ich in Tränen aus. Ich fühlte mich so unverstanden. Ich fühlte mich wie ein Psycho aus dem Lehrbuch und der Typ sagte mir allen Ernstes ich wäre nicht krank? Der hat sie doch nicht mehr alle!!! Was soll ich denn jetzt nur machen? Ich hatte all meine Hoffnung in diesen Mann gesetzt und jetzt soll ich quasi gesund sein?
Ich ging natürlich weiterhin jeden Tag zu meiner Einzeltherapie weil ich mir sicher war, dass die Therapie mich heilen würde. Ich meine, all die anderen Leute in der Klinik
-vorzugsweise die, die keine Medikamente nahmen- hatten Wahnsinnserfolge. Die sind nach maximal 4 Wochen, offensichtlich geheilt, aus der Klinik spaziert. Das musste der richtige Weg sein. Dazu las ich noch wie eine Besessene alle Psycho-Ratgeber die mir in die Finger kamen. Irgendwo in diesen Seiten würde der Schlüssel zu meiner Genesung stecken. Ich musste ihn nur finden. Ich war mir sicher, dass irgendwo in diesen Büchern der magische Satz versteckt war. Wenn ich den gefunden und gelesen hatte, dann war ich geheilt!

Nach der ersten Woche in der Klinik ging es mir immer noch grottig. Ich wurde zwischenzeitlich von Citalopram auf Cipralex umgestellt, weil das sicher tausend Mal besser wirken würde. Pustekuchen. Es wirkte nichts mehr. Ich erinnerte mich noch mal an dieses Gruselforum, mit den Bekloppten, die alles auf die heiligen Medikamente schoben. Vielleicht sollte ich wirklich nochmal allen Mut zusammen nehmen und dort recherchieren. Wer weiß, vielleicht komm‘ ich ja auf irgendwas Nützliches.
Also öffnete ich nochmal die Seite und las mich so durch die Beiträge. Als ich dann auf die Symptomliste stieß, blieb mir fast das Herz stehen. Da waren ja fast all meine bizarren Symptome aufgelistet. Und es gab da sogar Worte für.. Himmel! Das darf ja nicht wahr sein. Ich war so geschockt, dass ich mein Handy wieder ausstellte. Für einen kurzen Moment schlich sich da ganz leise was in mein Bewusstsein… Vielleicht waren ja die Medikamente mein Problem?
Sofort meldete sich mein Hirn wieder und sagte mir ganz klar und deutlich, dass es überhaupt nicht sein könne, dass ich an einem Entzug litt, weil der richtige Horror jedes Mal erst Monate später losging. Und wieder wurde ich von Panik überflutet. Ich machte mein Handy wieder an und schrieb alles was ich wissen wollte nochmal in das Forum. Konnte es sein, dass es sowas wie einen verzögerten Entzug gab? Die Antworten waren ziemlich eindeutig: Ja! Meistens handelte es sich zwar eher um ein paar Wochen Verzögerung, aber es gab, vor allem im amerikanischen Raum, schon einige Fälle, wo der Akutzustand erst Monate später losging. Ich recherchierte also auf amerikanischen Seiten und fand dort ein ähnliches Forum. Die sagten mir das Gleiche: Ein verzögerter Entzug (hier: delayed onset) ist gar nicht so selten.
Ja dann hol‘ mich doch der Teufel. Ich verbrachte Stunden damit, alles über dieses Entzugssyndrom zu lesen was ich finden konnte. Da schrieben auch andere von diesen schrecklichen Gedanken und Gefühlen.. Auf einem anderen Kontinent. Denen ging es genauso wie mir. Ich konnte es einfach nicht fassen. Konnte das meine Antwort sein???

Ich saß nach 7 Tagen das erste Mal bei der Visite. Vor mir der Psychiater. Wir kamen zu dem Entschluss, dass das Cipralex auch nicht das Wahre war. Er war sich aber ganz, ganz, ganz, ganz sicher, dass Paroxetin MEIN Medikament sei. Ich solle es doch auf jeden Fall mal damit versuchen. Meine Antwort war ein mickriges und jämmerliches „Nein“. Ich sagte, dass ich keine Medikamente mehr nehmen möchte und ich betete, dass er das einfach akzeptieren würde und mich nicht versuchte mit schlauen Argumenten zu überreden. Ich war so was von schwach und fertig, dass ich keinen großen Widerstand hätte leisten können, aber vor allem war ich so anfällig für alles, was mir Linderung versprach.
„Ja ok, dann versuchen Sie es halt mal ohne Medikamente.“, sagte der Psychiater.
Puh, Gott sei Dank war ich in einer Privatklinik gelandet. Die sind nämlich nicht von den Krankenkassen gezwungen alle möglichen Medikamente in ihre Patienten zu pumpen.
Ich schlich das Cipralex also über eine Woche lang aus und am 14.07.2014 nahm ich das letzte Mal Psychopharmaka.

Ich erzählte natürlich allen von meiner neuen Erkenntnis, aber keiner der Patienten wollte was davon hören. Und ich konnte es so gut verstehen: Die Hoffnung die man in diese Pillen setzt ist enorm und für viele der letzte Strohhalm. Da will man nicht von irgendeiner daher gerannten Irren hören, dass die Pillen vielleicht das Problem sein konnten.
Also behielt ich die Erleuchtung für mich und besprach das Thema nur noch mit meiner Familie und meinem Therapeuten. Dort wurde mir zugehört und dort bekam ich die nötige Unterstützung um den Entzug offiziell anzutreten.

Das war sie, die Geschichte.
Alles Liebe für euch.
Karina.

 

Ein erstes Hallo an euch da draußen.

Ein erstes Hallo an euch da draußen.

Ich habe mich dazu entschlossen über meine Geschichte zu schreiben. Das macht man schließlich heute so, oder?!
Heute ist es genau 18 Monate und 11 Tage her, dass ich meine letzte Citalopram genommen habe. Niemals hätte ich mit so einem Verlauf gerechnet. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass die Zeit nach den Medikamenten noch viel grausamer ist als die Zeit davor. Hätte ich das alles vorher gewusst, dann hätte ich niemals Antidepressiva genommen. Tja.. Hätte, hätte Würstchenkette. Hinterher ist man immer schlauer. Für mich ist, wie gesagt, dieser Zug schon mal abgefahren. Aber für dich vielleicht noch nicht. Und genau deshalb betreibe ich diesen ganzen Blog-Aufwand. Wenn ich auch nur einen einzigen Menschen vor dieser Hölle bewahren kann, dann hat es sich gelohnt. Und was natürlich auch einfach Fakt ist: Es gibt viel zu wenige deutsche Erfahrungsberichte über den protrahierten SSRI-Entzug.
So.. Und weil es mir im Moment nicht ganz so gut geht, werde ich mich an dieser Stelle erstmal verabschieden.

Bis bald.
Eure Karina

P.S.: Ich habe noch nie einen Blog geschrieben und mache das jetzt erstmal nach ‚Gefühl‘. Also bitte seid nachsichtig. Ich blick‘ das alles noch nicht so recht.