Um zu erklären wie es überhaupt zu all dem gekommen ist, muss ich etwas ausholen.
Alles fing vor ca. 8 Jahren an. Mit süßen 19.
Meine erste Panikattacke überfiel mich aus, so ziemlich, heiterem Himmel. Zu der Zeit war einfach alles Scheiße. Schule, Praktikum, Beziehung… Alles war ätzend.
Und so kam es also, dass meine Seele nach einer Veränderung und nach Hilfe schrie. Das tat sie, in dem sie mir eine Todesangst einjagte. Ich war mir 100 % sicher, dass ich sterben musste. Ich litt ganz sicher an einer tödlichen Krankheit, oder ich würde jede Sekunde einen Herzinfarkt bekommen. Die Panik ließ mich nicht mehr los. Über Wochen. Ich rannte von einem Arzt zum nächsten. Ich hatte die abgefahrensten Untersuchungen und alle sagten mir das Gleiche: „Liebe Frau Blume, freuen Sie sich, sie sind gesund wie ein junges Reh!“. Das konnte doch nicht wahr sein?!?!?! Ich war mir doch so sicher!!!
Ganz egal wie oft mir der 1000. Doktor Entwarnung gab, ich hatte es im Urin. Da war was schlimmes im Busch. Irgendwann, nach Wochen und zig schlaflosen Nächten, war ich so groggi, dass ich zum Psychiater rannte. Der größte Fehler meines Lebens, wie ich heute weiß. Es dauerte exakt 10 Minuten und ich hatte meine erste Diagnose: „Panikstörung“. Die erste Packung Citalopram hielt ich auch unmittelbar in den Händen. WOW! Eine Tablette die meine Panik verschwinden lässt?! Und das aller Beste war: Ich konnte die Tabletten nehmen bis ich alt und grau war. Großartig!!!
Und als wäre das noch nicht genug, hatten diese Tabletten auch kaum Nebenwirkungen. Und weil sich meine Psychiaterin da auch so sicher drüber war, nahm sie mir gleich die Packungsbeilage weg, weil mich das nur wieder verunsichern würde. Und da steht ja auch wirklich allerhand Blödsinn drin. MENSCH! Die Frau war der Hammer und hatte es kapiert: Ich wollte mit dem ganzen Psychokram nichts zu tun haben sondern endlich wieder funktionieren.
Damit ich auch wieder gut schlafen konnte, gab es noch gleich eine Packung Zopiclon obendrauf. Die werden es richten. YEAH! Beiläufig wurde mir noch angeraten vielleicht mal über eine Therapie nachzudenken.
Und so begann, voller Überzeugung in die moderne Medizin, mein Weg geradewegs in die Hölle.
Nach ungefähr 6 Wochen der Einnahme war ich wie ausgewechselt. Ich hatte tatsächlich keine Angst mehr. Und weil es so schön war, waren all meine anderen Gefühle auch vernichtet. Es war ziemlich Roboter-mäßig, aber hey, scheiß drauf! Die Panik war weg. Auch die 30 kg Gewichtszunahme waren mit schnurz. Hauptsache ich war wieder „normal“.
Ich war dann tatsächlich auch mal bei einer Therapeutin, aber das hab ich ganz schnell wieder sein gelassen, weil ich war ja schließlich total gesund.
Das erste Mal hatte ich das Citalopram nach ungefähr 3 Jahren aufgehört. Ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht und die Pillen nur noch ab und zu mal genommen und es dann irgendwann ganz gelassen. Ich kann mich nur noch sporadisch an die Zeit erinnern und habe vom zeitlichen Ablauf keinen genauen Plan, deshalb sind das alles nur Schätzungen. Ich weiß aber, dass ich mich die ersten Monate ohne SSRI ganz ok fühlte. Hier und da ein paar Symptome, aber nichts was mich jetzt aus der Bahn warf. Jedenfalls kam der große Knall erst Monate später. Von einer Sekunde auf die andere war ich nicht mehr der selbe Mensch. Ich saß auf der Couch, das Fenster weit offen und plötzlich überkam mich ein grausames Gefühl.. Ich muss springen!
Vor lauter Panik und Verzweifelung schnappte ich mir mein Handy, rannte die Treppen runter, setzte mich auf die letzte Stufe und rief meine Mutter an. Ich erzählte ihr von meinen Gefühlen und Gedanken und konnte selbst nicht fassen was da gerade mit mir passierte. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Meine Mutter redete besänftigend auf mich ein. Ich solle auf meinen Freund warten (der noch arbeiten war) und wir sollen uns dann auf den Weg zu meinen Eltern machen. So saß ich da auf der Treppe und traute mich nicht mehr nach oben. Dieses Gefühl, dieser Drang aus dem Fenster springen zu müssen, hatte sich so in meinen Körper gefressen, dass es mich lähmte. Irgendwann schlich ich mich dann zurück in die Wohnung und kauerte mich auf die Couch. Ich traute mich nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Christian war noch nicht ganz die Türe rein, da eröffnete ich ihm die frohe Botschaft, dass wir aus der Wohnung müssen, weil ich es keine Sekunde länger aushalten würde. So packten wir unsere 7 Sachen und fuhren 50 km weiter zu meinen Eltern ins Erdgeschoss. Zu der Zeit war ich Studentin und hatte keine beruflichen Verpflichtungen. Gott sei Dank, denn ich konnte nichts mehr.
Das Leben war nicht mehr das was es vorher war. Ich konnte nicht mehr essen (und damit meine ich NICHTS), ich ging 1 Mal die Woche duschen, ich konnte keine Musik mehr hören, ich konnte mich nicht mehr frei bewegen, ich konnte nicht mehr klar denken, ich konnte keine Menschen mehr ertragen. Ich war am Ende. Meine Mutter schleppte mich jeden Morgen mit in ihr Büro und dort saß ich dann und dachte ich müsse sterben. Wir bekamen relativ zügig einen Termin beim Psychiater. Da ich mittlerweile in einer anderen Stadt war, war es nicht so einfach einen Termin bei einem neuen Arzt zu bekommen.
Ich erzählte dem Arzt von meinen Gedanken. Die neuen Diagnosen waren nach 15 Minuten gestellt: „Schwere Depression“ und „Zwangsgedanken“. Es war keine Rede mehr von meiner einstigen Panikstörung. Aber das war mir auch egal, hauptsache ich bekam wieder meine Pillen, die diese grauenhaften Gefühle auslöschen! Und so war es dann auch. Ich hielt meine Citalopram in den Händen und dazu noch ein Döschen Tavor, damit ich mich beruhigen konnte und das Einschleichen der SSRI erträglicher wurde.
Es hat keine 4 Wochen gedauert und ich war wieder Roboter-Karina. Ich habe einfach nichts mehr gefühlt und wenn, dann nur ganz wenig oder aber ganz viel.
Ich schluckte die Pillen weitere 3 Jahre und setze sie dann ab. Keiner der Ärzte hatte in all der Zeit auch nur ein Wort über das Ausschleichen, oder gar über das Absetzen verloren. Es war ganz klar, dass ich die Tabletten jetzt für den Rest meines Lebens nehmen würde.
Ich dachte wirklich ich sei gesund. Ich brauchte die Tabletten nicht mehr. Und weil die Tabletten ja so ungefährlich waren, dachte ich noch nicht mal eine Sekunde über sowas wie Ausschleichen nach. Das selbe Spiel also nochmal. Und auch jetzt war das Absetzen, scheinbar, kein Problem. Vielleicht hier und da mal ein Symptom, aber alles völlig ok. Dazu kam, dass ich mitten in meinem Examen steckte und auch echt keine Zeit hatte mich mit irgendwelchen Symptomen zu beschäftigen.
Es muss dann ungefähr 4-5 Monate nach der letzten Tablette gewesen sein. Christian und ich stritten uns und als ich vom Balkon aus die Wohnung betrat, explodierte in mir eine Bombe. Man kann es sich wahrscheinlich nicht vorstellen, aber aus einer normalen Frau wird binnen Sekunden ein vollkommenes Wrack. Es ist mit Worten nicht zu beschreiben, welche Gefühle da in einem ausbrechen. Von welchen Gedanken man gequält wird. Es ist einfach nicht auszuhalten. Nun saß ich da und konnte nicht fassen, dass ich immer noch so ein Psycho war. Nach all den Jahren. In meiner Verzweifelung kramte ich aus irgendeinem Karton noch einen Blister Citalopram und warf mir gleich mal eine ein. Ich musste mich nur gedulden und zusammenreißen, dann war es sicher wieder vorbei, so wie immer. Ich geduldete mich für genau 2 Tage und dann konnte ich nicht mehr. Wir fuhren an einem Wochenende in die nächste Psychiatrie, weil ich dringend Tavor brauchte. Tatsächlich gab mir der nette Arzt eine Wochenendration mit nach Hause. Ich musste aber versprechen, am Montag gleich zu meinem Psychiater zu gehen. Meine Eltern wussten natürlich Bescheid und so holte mich meine Mutter Montag Morgen ab und wir fuhren zum Arzt. Ich hatte gerade 4 Wochen vorher eine neue Stelle in einem Krankenhaus angefangen und musste mich schon krank melden.
Beim Psychiater angekommen, das altbewährte Spiel: Citalopram wieder einschleichen und Tavor obendrauf.
Leider wurde daraus nichts mehr, bis auf das Tavor hat nichts gewirkt. Jeden Tag setzte ich das kleine bisschen Hoffnung in meine Dosis Citalopram. Ich betete zu Gott, dass es doch endlich wieder zu wirken anfängt. Das hat doch sonst auch immer geklappt. Mein Psychiater wollte mich wöchentlich sehen und schraubte die Dosis Citalopram immer höher und die Dosis Tavor immer weiter runter.
Nachdem ich immer tiefer und tiefer abrutschte und kaum noch atmen konnte vor Wahnsinn, hatte ich auf der Arbeit die Wahrheit gesagt. 2 Tage später bekam ich die Kündigung. Und weil Christian natürlich seinen Job hatte und ich alleine nicht mehr überlebensfähig war, zogen wir schön wieder zu meinen Eltern.
Die Wochen strichen ins Land und es tat sich nichts, außer dass dieser Horror unvorstellbare Ausmaße annahm. Ohne meine Tavor wäre ich definitiv auf der Geschlossenen gelandet. Dank des Familienbetriebes konnte ich tagsüber wieder bei meiner Mutter im Büro sein. Dort lag ich auf einem Feldbett und war mir sicher, dass ich jeden Augenblick den Verstand verlor. Heute weiß ich nicht wie ich das aushalten konnte. Minute für Minute. Tag für Tag. Woche für Woche. Ohne einen Augenblick des Friedens.
So verging die Zeit. Ich wusste nicht mehr welcher Tag war, ich wusste nicht mal mehr wer ich selbst eigentlich war. Ich war pausenlos damit beschäftigt den nächsten Moment zu überstehen. In mir brannte ein Feuer und ein Vulkan nach dem anderen brach in mir aus.
Ich verbrachte die Tage damit, Antworten auf meine Fragen zu suchen. Was passierte da in mir? Wie krank war ich wirklich? Was konnte ich nur tun? Was waren das für unerklärliche Zustände? Aber vorallem: Wann wirkten die beschissenen Tabletten endlich?
Und so befragte ich Google. In jeder erdenklichen Form tippte ich Begriffe in die Suchleiste. Stundenlang. Zu dieser Zeit traf ich das erste Mal auf ein Forum, dass sich kritisch mit Psychopharmaka beschäftigte. Das Wörtchen „kritisch“ habe ich schlichtweg überlesen und so stellte ich dort meine Fragen und wollte einfach nur hören, dass ich noch ein bisschen warten müsse und dann würde die Zauberwirkung der Pillen NATÜRLICH wieder einsetzen. Nun, was soll ich sagen?! Die Antwort hatte mich zutiefst erschüttert. Da schrieb doch tatsächlich eine der Moderatorinnen, dass sie nicht glaubt, dass das Citalopram noch mal wirken würde. Dass die Wirkung nach all den Wochen längst hätte einsetzen müssen und dass sie mir rät, das Citalopram innerhalb weniger Tage abzusetzen, weil es in ihren Augen paradoxe Effekte hätte. Ich war so entsetzt über diese Antwort, ich wurde so panisch, dass ich den Computer ausschaltete und gleich noch ne Tavor einwarf.
Als ca. 2 Monate vergangen waren, ohne dass ich mich auch nur in irgendeiner Weise besser fühlte, traf ich den Entschluss, dass ich weg musste. Ich konnte mein Leben, so wie es war, nicht mehr ertragen. Es ging nicht mehr. Wir lebten zu Viert auf 60 qm und jeder hatte Angst ein Wort zu viel zu sagen, weil ich es vielleicht nicht ertragen konnte. Ich schaute mir also unzählige Kliniken im Internet an. Schließlich landete ich bei einer Privatklinik, die von meiner gesetzlichen Krankenkasse, aus irgendeinem Grund, bezahlt wurde. 3 Tage später zog ich also um.
Meine Mutter und Christian brachten mich Vormittags mit gepacktem Koffer in die Klinik. Alles, wirklich alles, in mir schrie danach wieder nach Hause zu fahren. Aber ich hatte mich gezwungen da zu bleiben. Ich betrat mein Einzelzimmer im Hotelstil und dachte meine Sicherungen knallten jeden Moment durch. Wie soll ich denn ALLEINE in einem Zimmer überleben? Wer passt denn dann bitte auf, dass ich nicht auf dumme Gedanken komme und mir wirklich was antue? Ich fühlte mich so verloren wie noch nie in meinem Leben. All das Schöne, an der wirklich netten Klinik, konnte ich nicht sehen. Das Einzige was ich seit Monaten wahrnahm, war dieser Horrorfilm der 24/7 lief. Für alles andere war ich blind.
Nach 2 Stunden schickte ich meine Mutter und Christian nach Hause. Noch eine Minute länger und ich würde wieder mitfahren. Die Tür fiel ins Schloss und ich sackte zusammen. Da saß ich nun in meinem schönen Einzelzimmer und meine Welt brach schon wieder in tausend Stücke. Ganz tief in mir spürte ich, dass mit mir was nicht stimmte. Da lief irgendwas komplett aus dem Ruder.
Ich rappelte mich nach einer gefühlten Ewigkeit auf und packte meine Sachen aus. Ein extremer Kraftakt. Die Vorstellung, jetzt alleine hier an diesem Ort zu sein, machte mich komplett irre. Mein Zimmer lag im 1. Stock und ich hatte einen Balkon zum Garten hinaus. Ich traute mich dann irgendwann raus. Ich schaute über das Geländer und sah mich schon unten auf dem Boden liegen. Ich weiß wie absurd das ist, denn wenn ich aus dem 1. Stock springe breche ich mir im schlimmsten Fall den kleinen Finger. Aber es fühlte sich an als würde ich auf dem Dach im 15. Stock stehen.
In den ersten Tagen lernte ich die anderen kennen. Ein ganz schön bunter Haufen. Von Depression, über Borderline bis Burnout. Alles dabei.
Was mir aber sehr schnell klar wurde: Ich war irgendwie anders.
Ich habe mich viel mit den anderen Patienten unterhalten. Ich hatte die Hoffnung, endlich eine Antwort auf meine Fragen zu bekommen. Ich wusste zwar um meine Diagnosen, aber ich wusste, dass da was anders war. Wenn ich mich so durch die anderen Diagnosen fragte, kannte ich die Symptome von jeder einzelnen aus eigener Erfahrung.
Ich hatte, meinen Recherchen zu Folge, also eine Psychose, Borderline, Depressionen, eine Angststörung in allen Formen, Schizophrenie und ungefähr alle bekannten Persönlichkeitsstörungen. Na dann, Prost Mahlzeit.
Meine Tage fingen immer gleich an: Die Augen gingen auf, dann dauerte es 30 Sekunden und der Film ging los. Ich spürte das Entsetzen in jeder Zelle meines Körpers. Vom Kopf bis in die Zehen. Ich sprang aus dem Bett und saß mit einem Puls von 150 auf dem Klo, weil ich Durchfall hatte. Dann musste ich so lange würgen bis ich in den Mülleimer kotzte. Ich zitterte am ganzen Körper. Als ich vom Klo kam, putzte ich mir in einem Affenzahn die Zähne, knotete mir irgendwie die Haare zusammen, zog irgendwelche Klamotten an und dann endlich RAUS. Ich wurde vom Teufel gejagt. Dann saß ich draußen in der Raucherecke und rauchte wie ein Schlot. Das Rauchen war nämlich wirklich das Einzige, was ich noch aus meinem alten Leben hatte und was noch funktionierte und deshalb war es für mich enorm wichtig.
In der Klinik hatte jeder Patient seinen Bezugstherapeuten. Ich also auch meinen.
Nach der ersten Stunde bei Herrn Müller, sagte der mir zum Abschied folgendes: „Also Frau Blume, ich weiß zwar nicht was sie haben, aber sie sind nicht psychisch krank. Zumindest nicht im klassischen Sinne.“ Bitte was? Hä? Hatte der das gerade wirklich gesagt? Als ich aus der Tür war, brach ich in Tränen aus. Ich fühlte mich so unverstanden. Ich fühlte mich wie ein Psycho aus dem Lehrbuch und der Typ sagte mir allen Ernstes ich wäre nicht krank? Der hat sie doch nicht mehr alle!!! Was soll ich denn jetzt nur machen? Ich hatte all meine Hoffnung in diesen Mann gesetzt und jetzt soll ich quasi gesund sein?
Ich ging natürlich weiterhin jeden Tag zu meiner Einzeltherapie weil ich mir sicher war, dass die Therapie mich heilen würde. Ich meine, all die anderen Leute in der Klinik
-vorzugsweise die, die keine Medikamente nahmen- hatten Wahnsinnserfolge. Die sind nach maximal 4 Wochen, offensichtlich geheilt, aus der Klinik spaziert. Das musste der richtige Weg sein. Dazu las ich noch wie eine Besessene alle Psycho-Ratgeber die mir in die Finger kamen. Irgendwo in diesen Seiten würde der Schlüssel zu meiner Genesung stecken. Ich musste ihn nur finden. Ich war mir sicher, dass irgendwo in diesen Büchern der magische Satz versteckt war. Wenn ich den gefunden und gelesen hatte, dann war ich geheilt!
Nach der ersten Woche in der Klinik ging es mir immer noch grottig. Ich wurde zwischenzeitlich von Citalopram auf Cipralex umgestellt, weil das sicher tausend Mal besser wirken würde. Pustekuchen. Es wirkte nichts mehr. Ich erinnerte mich noch mal an dieses Gruselforum, mit den Bekloppten, die alles auf die heiligen Medikamente schoben. Vielleicht sollte ich wirklich nochmal allen Mut zusammen nehmen und dort recherchieren. Wer weiß, vielleicht komm‘ ich ja auf irgendwas Nützliches.
Also öffnete ich nochmal die Seite und las mich so durch die Beiträge. Als ich dann auf die Symptomliste stieß, blieb mir fast das Herz stehen. Da waren ja fast all meine bizarren Symptome aufgelistet. Und es gab da sogar Worte für.. Himmel! Das darf ja nicht wahr sein. Ich war so geschockt, dass ich mein Handy wieder ausstellte. Für einen kurzen Moment schlich sich da ganz leise was in mein Bewusstsein… Vielleicht waren ja die Medikamente mein Problem?
Sofort meldete sich mein Hirn wieder und sagte mir ganz klar und deutlich, dass es überhaupt nicht sein könne, dass ich an einem Entzug litt, weil der richtige Horror jedes Mal erst Monate später losging. Und wieder wurde ich von Panik überflutet. Ich machte mein Handy wieder an und schrieb alles was ich wissen wollte nochmal in das Forum. Konnte es sein, dass es sowas wie einen verzögerten Entzug gab? Die Antworten waren ziemlich eindeutig: Ja! Meistens handelte es sich zwar eher um ein paar Wochen Verzögerung, aber es gab, vor allem im amerikanischen Raum, schon einige Fälle, wo der Akutzustand erst Monate später losging. Ich recherchierte also auf amerikanischen Seiten und fand dort ein ähnliches Forum. Die sagten mir das Gleiche: Ein verzögerter Entzug (hier: delayed onset) ist gar nicht so selten.
Ja dann hol‘ mich doch der Teufel. Ich verbrachte Stunden damit, alles über dieses Entzugssyndrom zu lesen was ich finden konnte. Da schrieben auch andere von diesen schrecklichen Gedanken und Gefühlen.. Auf einem anderen Kontinent. Denen ging es genauso wie mir. Ich konnte es einfach nicht fassen. Konnte das meine Antwort sein???
Ich saß nach 7 Tagen das erste Mal bei der Visite. Vor mir der Psychiater. Wir kamen zu dem Entschluss, dass das Cipralex auch nicht das Wahre war. Er war sich aber ganz, ganz, ganz, ganz sicher, dass Paroxetin MEIN Medikament sei. Ich solle es doch auf jeden Fall mal damit versuchen. Meine Antwort war ein mickriges und jämmerliches „Nein“. Ich sagte, dass ich keine Medikamente mehr nehmen möchte und ich betete, dass er das einfach akzeptieren würde und mich nicht versuchte mit schlauen Argumenten zu überreden. Ich war so was von schwach und fertig, dass ich keinen großen Widerstand hätte leisten können, aber vor allem war ich so anfällig für alles, was mir Linderung versprach.
„Ja ok, dann versuchen Sie es halt mal ohne Medikamente.“, sagte der Psychiater.
Puh, Gott sei Dank war ich in einer Privatklinik gelandet. Die sind nämlich nicht von den Krankenkassen gezwungen alle möglichen Medikamente in ihre Patienten zu pumpen.
Ich schlich das Cipralex also über eine Woche lang aus und am 14.07.2014 nahm ich das letzte Mal Psychopharmaka.
Ich erzählte natürlich allen von meiner neuen Erkenntnis, aber keiner der Patienten wollte was davon hören. Und ich konnte es so gut verstehen: Die Hoffnung die man in diese Pillen setzt ist enorm und für viele der letzte Strohhalm. Da will man nicht von irgendeiner daher gerannten Irren hören, dass die Pillen vielleicht das Problem sein konnten.
Also behielt ich die Erleuchtung für mich und besprach das Thema nur noch mit meiner Familie und meinem Therapeuten. Dort wurde mir zugehört und dort bekam ich die nötige Unterstützung um den Entzug offiziell anzutreten.
Das war sie, die Geschichte.
Alles Liebe für euch.
Karina.